Mit spitzer Feder …
Die letzten Wochen waren von einem einzigen Thema dominiert. Man konnte ihm nicht ausweichen. Es war dauerpräsent, ganz egal, ob man einen Bogen um fremde Menschen macht, ob man alleine im Homeoffice arbeitet oder für die betagte Nachbarin Einkäufe tätigt – es ist im Hinterkopf immer da. Ich brauche das Wort gar nicht zu erwähnen: Sie liebe Leserin und liebe Leser wissen längst, wovon die Rede ist. Covid-19 zeigt uns die Grenzen des menschlichen Seins auf und wir erleben gerade in physischer, psychischer und seelischer Weise den Härtetest. Unsere Verletzlichkeit ist auf allen Ebenen spürbar. Wer kennt es nicht: Eines Morgens holte einem der Homeoffice- oder «stay at home»-Koller ein. Das normalerweise positive Gemüt und gesunde Selbstvertrauen werden fragil. Plötzlich nervt einem alles – die E-Mails, die Anrufe auf dem Handy, Skype, die Whatsapp-Nachrichten, Dokumente, die man zu studieren hat, die quengelnden Kinder, das Gezwitscher der Vögel und der Rasenmäher-Lärm des Nachbars. Die Stimmung sinkt urplötzlich in den Keller und man befürchtet plötzlich, dem allem nicht mehr gewachsen zu sein. Da hilft auch der Morgenspaziergang mit Sonnenaufgang, das erwachende Grün und die weisse Pracht des Kirschbaumes nichts.
Jede und jede von uns steht aufgrund von Covid-19 mit einem oder sogar zwei Beinen im luftleeren Raum. Wir sind blockiert und verunsichert – vor uns ein grosses, fettes Fragezeichen, eine Ungewissheit mit gleich mehreren Unbekannten. Wir befinden uns alle auf einem unberechenbaren Blindflug. Wir gehen alle unterschiedlich mit dieser aussergewöhnlichen Situation um. Vielerorts liegen die Nerven blank, die Emotionen wiegeln sich gegenseitig hoch und es hagelt verbale Hiebe und Giftpfeile! Sechs Wochen Homeoffice mit Kind, Kegel und Hund auf engstem Raum, Nachbarn, die vor fremden Türen wischen, Isolation und eine ungewisse Zukunft, das ist eine ungewohnte Situation für uns alle. Viele können damit nicht umgehen. Dabei dürfen wir aber nicht ausser Acht lassen, dass wir uns in der Schweiz immer noch in einer sehr komfortablen Lagen befinden: wir haben Strom, Wasser, genug zu essen, sanitäre Einrichtungen, ein schönes Daheim und Zugang zu medizinischer Unterstützung sowie die Möglichkeit, nach Lust und Laune die prächtige Natur zu geniessen. Wir sind alle digital vernetzt und haben tausend Möglichkeiten, uns zu beschäftigen, Neues zu kreieren und uns in den eigenen vier Wänden sinnvoll zu beschäftigen. Klar – unser Leben wurde über Nacht aus den Fugen gehoben und für viele ist es ein Kraftakt, jetzt ruhig und gelassen zu bleiben, und die Situation mit Verstand und Pragmatismus möglichst emotionslos zu meistern.
Ich muss mich ab und zu selbst an der Nase nehmen. Auch ich kann es manchmal nicht lassen, etwas zu sarkastisch oder verletzend auf den sozialen Plattformen zu kommentieren. Doch ich realisiere es und greife dann zu meinen Skills, die ich mir in meiner Psychotherapie angeeignet habe. Ich sehe diese Krise als Herausforderung und Chance zugleich. Sie gibt uns nicht nur die Möglichkeit zu entschleunigen, sondern uns mit uns selbst auseinanderzusetzen, uns (zwischenmenschlich) zu verbessern und persönliche Baustellen zu eliminieren und zu lernen, auch in Extremsituationen in uns zu ruhen. Sie zeigt uns, wo unsere Schmerzgrenze liegt und wie gross unser Potenzial ist. Covid-19 gibt uns die einmalige Gelegenheit, über unsere Brüchigkeit und Zerbrechlichkeit, über den kostbaren Wert vieler Dinge nachzudenken, die uns unter normalen Umständen allzu selbstverständlich erscheinen: Die Stabilität der Weltordnung ist fragil, die Werte von Demokratie und Aufklärung werden brüchig, wenn aus Kriegsgebieten vertriebene, verletzliche Menschen als Druckmittel internationaler Politik eingesetzt wird. Der herrschende Wohlstand ist instabil, sobald die Wirtschaftsmaschine stottert. Familiäre und partnerschaftliche Beziehungen sind wertvolles Porzellan, wenn wir auf uns selbst und unsere Familienmitglieder zurückgeworfen sind.
Deshalb nutzen wir diese einmalige Chance, uns zu verbessern in jeglicher Hinsicht, über uns hinauszuwachsen, loszulassen und unsere sozialen Kompetenzen zu optimieren. Krone aufsetzen, Lächeln – auch wenn es weh tut – und den Marathon mit viel Würde, Menschlichkeit und einem starken Immunsystem zu Ende rennen. Denn Corona kann für jeden von uns zu einem Abenteuer werden, das aus uns bessere Menschen macht!
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin