«Rauchen ist weiterhin sehr populär»

    Mike Neeser ist mit vielen Bildschirm-Meetings während der Pandemie in sein neues Amt als Geschäftsführer der Lungenliga Aargau gestartet – zum Verschnaufen bleibt nicht viel Zeit. Hier gibt der 40-Jährige einen Einblick in die vielfältige Arbeit im Dienst der Menschen mit einer Atemwegs- und Lungenerkrankung.

    (Bilder: zVg) Grundauftrag der gemeinnützigen Gesundheitsorganisation ist die Gesundheit der Lungen und der Atemwege.

    Sie haben vor rund einem Jahr die Geschäftsführung der Lungenliga Aarau übernommen? Welche Bilanz können Sie ziehen?
    Mike Neeser: Die Lungenliga ist insgesamt sehr gut aufgestellt. Wir erbringen qualitativ hochwertige Dienstleistungen für unsere Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten und für die Allgemeinheit. Dies können wir nur, weil wir fachlich kompetentes Personal haben. Das wird sowohl von unseren Patientinnen und Patienten wie auch von unseren Partnern sehr geschätzt. Die Corona-Pandemie hat viel von unserem Personal und unseren Klientinnen und Klienten abverlangt. Ich freue mich deshalb besonders auf weniger Bildschirm-Meetings und mehr physischen Austausch mit meinem Team. Zeit zum Verschnaufen bleibt leider nur wenig, da mit den massiven Tarifsenkungen im Schlaf- und der Sauerstofftherapie die nächste Herausforderung schon da ist.

    Wie erleben die atemwegs- und lungenerkrankten Menschen die Pandemie respektive was sind in diesem Zusammenhang die grössten Herausforderungen?
    Viele unserer Patientinnen und Patienten gehören zu den besonders gefährdeten Personen und hatten sich aus Angst vor einer Infektion isoliert. Zeitweise fanden keine physischen Termine wie Hausbesuche und Jahreskontrollen statt. Beratungen führten wir vor allem telefonisch durch. Nachdem wir mit entsprechendem Schutzkonzept wieder physischen Kontakt ermöglichen konnten, gestaltete sich gerade bei älteren Patientinnen und Patienten mit Hörschwierigkeiten die Kommunikation durch die Schutzmaske schwierig. Erst in den letzten Monaten konnten wir unsere Kurse und Gruppenangebote wieder hochfahren. Diese sind für viele unserer Patientinnen und Patienten für den Erfahrungsaustausch im Umgang mit ihrer Krankheit wertvoll.

    Wie halten Sie mit den Tarifänderungen das Schiff auf Kurs?
    Wir sind dran, die administrativen Tätigkeiten unserer Dienstleistungen an einem Ort zu bündeln. Dadurch müssen unsere Pflegefachpersonen und Sozialarbeitenden weniger Zeit für Administratives aufwenden und haben mehr Zeit für unsere Patientinnen und Patienten sowie Klientinnen und Klienten. Gleichzeitig können wir so eine höhere Effizienz in der ganzen Administration erreichen. Auf der anderen Seite benötigen wir weitere Einnahmen, um insbesondere diejenigen Dienstleistungen zu finanzieren, die nicht kostendeckend sind, wie zum Beispiel unser Kursangebot oder unser Engagement in der Gesundheitsförderung und Prävention. Da loten wir aktuell mit der ganzen Geschäftsleitung die verschiedenen Möglichkeiten aus. Wir sind aber nach wie vor auf Spenden angewiesen und danken allen Personen, die uns finanziell unterstützen!

    Für diejenigen, die die Lungenliga Aargau nicht kennen. Wie würden Sie die Organisation kurz charakterisieren?
    Entstanden sind wir vor 112 Jahren im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung. Heute sind wir eine gemeinnützige Gesundheitsorganisation und engagieren uns im Auftrag von Bund und Kanton für Menschen mit Lungen- und Atemwegserkrankungen sowie für gesunde Luft und Lungen. Wir – das sind 60 Mitarbeitende vor allem aus der Pflege, der Sozialarbeit sowie der Gesundheitsförderung und Prävention. Auf nationaler Ebene setzt sich unser Dachverband Lungenliga Schweiz im Auftrag der kantonalen Lungenligen für unsere Anliegen ein.

    Was sind die wichtigsten Dienstleistungen?
    Unser Grundauftrag ist die Gesundheit der Lungen und Atemwege. Mit der Schlafapnoe- und Sauerstofftherapie sowie der Sozialberatung begleiten und beraten wir Menschen mit einer Atemwegs- und Lungenerkrankung und ihre Angehörigen therapeutisch und psychosozial. Mit unserem Kursangebot unterstützen wir Betroffene und Angehörige, besser mit ihrer Krankheit leben zu können und setzen uns für den Rauchstopp ein. Damit Menschen gar nicht erst krank werden, engagieren wir uns in der Gesundheitsförderung und Tabakprävention. Schliesslich betreiben wir im Auftrag des kantonsärztlichen Dienstes die Fachstelle Tuberkulose und sind für die Schul- und HPV-Impfungen im ganzen Kanton verantwortlich.

    Immer wieder sensibilisiert die Lungenliga bezüglich der Schädlichkeit des Rauchens. Wie populär ist Rauchen heute noch und wie schützen Sie vor allem junge Menschen?
    Rauchen ist weiterhin sehr populär – v.a. auch bei jungen Menschen: 31.6 Prozent der 15- bis 25-jährigen Schweizerinnen und Schweizer rauchen. Zudem findet eine Verschiebung des Konsums statt. Die neuen Produkte (z.B. E-Zigaretten oder Snus) gewinnen an Stellenwert und sind in der Gesellschaft mehrheitlich akzeptiert.  Wir versuchen, die Jugendlichen früh zu sensibilisieren und bieten Interventionen an Schulen an. Des Weiteren führen wir Projekte in den Berufsfachschulen und in den Lehrbetrieben durch.

    In der Herbstsession hat das Parlament beschlossen, Tabakwerbung noch zu verschärfen. Wie stehen Sie dazu?
    Leider gehören die Regeln für Tabakwerbung in der Schweiz auch nach dieser Verschärfung zu den schwächsten in ganz Europa. Die Chance auf einen wirkungsvollen Jugendschutz wurde eindeutig verpasst. Wir engagieren uns deshalb für die Volksinitiative «Kinder ohne Tabak», über welche am 13. Februar 2022 abgestimmt wird. Mit der Annahme der Initiative würden Kinder und Jugendliche vor Tabakwerbung geschützt. www.kinderohnetabak.ch

    Was braucht es für einen erfolgreichen Rauchstopp?
    Die grösste Sorge der Personen, die eine Rauchstopp-Beratung in Betracht ziehen, ist die Frage, wie sie es schaffen können. Standardlösungen laufen oft ins Leere; individuell erarbeitete Lösungsansätze hingegen führen eher zum gewünschten Erfolg, da jeder Rauchstopp-Willige seinen für ihn besten Weg finden sollte. Das Wichtigste beim Rauchstopp ist der persönliche Grund und die Motivation, um aufzuhören. Die Motivation kann als Bild oder Symbol im Alltag mitgetragen werden, um die Absicht zum rauchfreien Leben stets vor Augen zu halten. Mit einem detaillierten Plan können weitere Massnahmen, wie beispielsweise Ablenkungsmanöver, festgelegt werden. Dabei sind die ersten 48 Stunden entscheidend, um die alten Routinen zu durchbrechen.

    Die chronisch obstruktive Lungenkrankheit COPD ist eine der häufigsten nicht-infektiösen Erkrankungen. In der Schweiz sind rund 400‘000 Menschen von COPD betroffen. Wie kann man diese Krankheit erfolgreich bekämpfen?
    Ein Rauchstopp ist die wirksamste Methode, um einen COPD-Verlauf positiv zu beeinflussen. Meistens verursacht das Rauchen diese unheilbare Krankheit, aber auch nach Ausbruch verhilft der Rauchstopp häufig, dass das Voranschreiten der Krankheit gestoppt werden kann. Wirksam für den besseren Umgang mit dieser Krankheit ist auch das Selbstmanagement-Coaching «Besser leben mit COPD», welches bei uns am 3. November wieder gestartet ist.

    Welches Echo bekommen Sie auf Ihre COPD-Kampagne?
    Die COPD-Kampagne ist ein nationales Projekt der Lungenliga Schweiz, welches von den kantonalen Ligen mit flankierenden Massnahmen unterstützt wird. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen am Online-COPD-Risikotest stellen wir fest, dass die Kampagne in unserem Kanton gut ankommt. Um die Pneumologen während der Pandemie nicht zusätzlich zu belasten, wurde die Kampagne 2020/21 pausiert. Alternativ und in Hinblick auf den Welt-COPD-Tag vom 17. November verweisen wir mit einer kantonalen Werbekampagne auf unsere vielseitigen Dienstleistungen: www.lungenliga-ag.ch/wirhelfen

    Der Impfdienst der Lungenliga Aargau führt im Auftrag des Kantons Impfungen an den aargauischen Volksschulen durch. Grundlage ist der aktuelle Schweizerische Impfplan. Mit Corona sind die Impfgegnerinnen und Impfgegner wieder aktuell. Spüren Sie das?
    Ja. Einerseits verzeichnen wir eine erhöhte Kontaktanfrage durch verunsicherte Erziehungsberechtigte im Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen. Andererseits spüren wir eine etwas verminderte Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder an der Volksschule impfen zu lassen. Aktuell ist der Kanton Aargau direkt für die COVID-Impfungen verantwortlich, da die Impfkampagne einen deutlich schnelleren Zeitplan aufweist als der Impfturnus für die regulären Schulimpfungen.

    Tuberkulose ist in der Schweiz seltener geworden. Wieso ist die Krankheit noch nicht ausgerottet?
    Tuberkulose ist immer noch eine der zehn häufigsten Infektionskrankheiten weltweit mit 1.4 Mio. Toten im Jahr 2019! Zum einen stecken sich Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Heimatland an und verbreiten es durch Reisen. Zum anderen haben sich in der Schweiz viele der heute über 70-Jährigen als Kinder oder Jugendliche infiziert, als Tuberkulose auch in der Schweiz noch weit verbreitet war. Diese können aufgrund ihres Alters ein geschwächtes Immunsystem haben, welches das Risiko eine Reaktivierung der Tuberkulose erhöht. Die Beendigung der Tuberkulose-Epidemie bis 2030 gehört zu den Gesundheitszielen der WHO.

    Was wünschen Sie sich für die Lungenliga Aargau für die Zukunft?
    Ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren unseren Grundauftrag, nämlich die Gesundheit der Lungen und der Atemwege, noch besser wahrnehmen können. Ich hoffe, dass wir das Gespür, das Knowhow und die Mittel haben, um die daraus notwendigen Dienstleistungen ableiten und anbieten zu können. Das schaffen wir nur mit weiterhin gutem und motiviertem Personal. Gleichzeitig müssen wir als ganze Organisation modern und agil aufgestellt sein, um Veränderungen wie aktuell zum Beispiel die Tarifsenkungen gut begegnen zu können.

    Interview: Corinne Remund 

    Weitere Informationen zur Lungenliga Aargau unter:
    www.lungenliga-ag.ch

    Mike Neeser hat an der Universität Bern Psychologie studiert und sich an der Universität Freiburg zum Verbands- und NPO-Manager weitergebildet. Von 2009 bis 2020 war der gebürtige Zofinger im Non-Profit-Bereich für das Blaue Kreuz sowohl auf kantonaler wie nationaler Ebene tätig und konnte sich in diesen Jahren ein breites Wissen und wertvolle Erfahrung aneignen insbesondere in der Suchtprävention und Suchtpolitik sowie im Management und der Verbandsarbeit. CR

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