Matthias Samuel Jauslin ist einer der einflussreichsten Energiepolitiker in Bern. Der FDP-Nationalrat aus dem Aargau hat verschiedenen Vorlagen seinen Stempel aufgedrückt. Als Unternehmer verbindet er Pragmatismus und Fortschritt. Die Aargauer Woche führte ein Gespräch mit ihm.
Matthias Samuel Jauslin, warum wird ein Unternehmer Politiker?
Wer nicht politisiert, wird politisiert. Es darf nicht sein, dass wir als Unternehmer nur auf den Tisch klopfen, aber nicht bereit sind, uns aktiv in die Politik einzubringen. Es liegt an uns, tagtäglich aufzuzeigen, wo der Schuh drückt und mehrheitsfähige Lösungen einzubringen.
Welche persönliche Bilanz ziehen Sie nach 8 Jahren im Nationalrat?
Wer wirklich etwas bewegen will, braucht für seine Idee 51 Prozent, also die Mehrheit der Stimmen. Es sind die Schaffer im Parlamentsbetrieb, die Mehrheiten schmieden können. Im aktuellen Ranking des renommierten Instituts BCW gehöre ich in der zu Ende gehenden Legislatur zu den drei einflussreichsten Bundesparlamentariern aus dem Kanton Aargau. Das freut mich natürlich.
Welche Momente im Rat haben Ihnen grosse Freude bereitet?
Solche Momente habe ich immer wieder erlebt. Besonders gefreut habe ich mich, dass der Bundesrat zwei meiner Motionen angenommen hat, die darauf abzielen, die Geologie unseres Untergrundes systematisch zu erfassen und zu modulieren, sowie die Nutzung des Untergrundes für die Speicherung von Wärme, Kälte und CO2 zu ermöglichen. Wir haben das Potenzial von Geothermie in der Schweiz schlicht noch nicht ausgeschöpft.
Und wann haben Sie gedacht «jetzt werfe ich den Bettel hin»?
Als ehemaliger Spitzensportler (anm. Redaktion: Mitglied der Nationalmannschaft mil. 5-Kampf) bin ich es mir nicht gewohnt, den Bettel hinzuschmeissen. Niederlagen gehören zu unserem Politsystem. Das ist zwar im ersten Augenblick etwas frustrierend, bietet aber auch die Chance, andere mögliche Lösungsansätze aufzunehmen. Ich nehme das gelassen und mit etwas «Eis im Bauch».
Sie sind die treibende Kraft hinter der Vorlage Kreislaufwirtschaft. Was ist das überhaupt?
Ich bin Präsident der Kommission, welche die Vorlage zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft erarbeitet hat. Das war Teamarbeit über die Fraktionsgrenzen hinweg. Es geht darum, Rohstoffe effizient und möglichst lange zu nutzen. Ziel muss sein, Material- und Produktekreisläufe zu schliessen.
Was will die Vorlage? Braucht es überhaupt eine Regulierung der Kreislaufwirtschaft?
Kreislaufwirtschaft ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den gesamten Lebenszyklus betrachtet: Von der Rohstoffgewinnung, über das Design, die Produktion und den Vertrieb eines Produktes bis zu seiner möglichst langen Nutzungsphase und dem Recycling. Damit Produkte und Materialien in diesem Kreislauf bleiben, braucht es ein Mitdenken der Gesellschaft. Leitplanken helfen mit, dass aus einer offenen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Konsumenten ein Mehrwert entsteht.
Diese Vorlage ist auf gutem Weg. Wie realisiert der Einzelne die Umsetzung? Was ändert sich im Alltag?
Schon heute haben wir bei gewissen Produkten funktionierende Systeme. So ist die PET-Sammlung ein bewährtes Vorzeigeprojekt. Wo wir noch Nachholbedarf haben, sind Abfallfraktionen wie Plastik, Verpackungen, allgemeine Siedlungsabfälle und Bauabfälle. Zuviel davon geht noch in die Kehrichtverbrennung, obwohl die darin enthalten Werkstoffe durchaus auch stofflich verwertet werden könnten. Neu wird es möglich sein, dass private Institutionen Abfälle sammeln dürfen. Zudem soll die Reparaturfähigkeit und die Wiederverwendung von Produkten gefördert werden. Der Bauwirtschaft wird es ermöglicht, vermehrt rezyklierte Baustoffe zu verwenden und den Rückbau bei der Planung mitzuberücksichtigen. Zudem erhält der Bundesrat die Möglichkeit, unbürokratisch Pilotprojekte zu bewilligen.
Sie sind bekannt als Umwelt- und Energiepolitiker. Umwelt und Energie beeinflussen die Wirtschaftspolitik und den Standort Schweiz. Sie wollten den Bundesrat dazu bringen, eine Gesamtschau zu machen. Aber dann haben Sie Ihren Vorstoss zurückgezogen. Was ist passiert?
Der Vorstoss, in dem ich einen Bericht verlangte, wurde vor der Ukrainekrise eingereicht. Aktuell zeigt sich, dass durch die unsichere Lage im Gassektor die Energiemärkte immer noch verrücktspielen. Anderseits haben wir mit dem Klimaabkommen von Paris eine Herausforderung zu bewältigen, die einen direkten Einfluss auf die Versorgungssicherheit hat. Ein zusätzlicher Bericht bringt uns nun nicht mehr weiter. Ich habe mein Postulat zugunsten einer griffigeren Fraktionsmotion, bei der ich als Sprecher agiere, zurückgezogen.
Aha, und was will diese Motion? In seiner Antwort auf Ihren Vorstoss sagte Bundesrat Rösti «Wir brauchen mehr Strom.» Daran zweifelt kaum einer. Doch diese Antwort ist doch alles andere als eine Gesamtschau. Wo setzen Sie nun den Hebel an?
Wir beauftragen den Bundesrat, die Energiestrategie 2050 mit den aktuellen Erkenntnissen abzugleichen und wo notwendig zu revidieren. Dabei sind alle gesetzlichen und regulatorischen Anpassungen vorzunehmen, um die Stromversorgung der Schweiz kurz-, mittel- und langfristig sicherzustellen. Er soll dabei auch die erwartete Nachfrage, die begrenzten Importmöglichkeiten, das inländische Ausbau- und Effizienzpotenzial, den sicheren Weiterbetrieb der Kernkraftwerke und die Klimaziele berücksichtigt werden. Zudem sind wir der Meinung, dass nun dringend ein Stromabkommen mit der EU erarbeitet werden muss. Ich gehe davon aus, dass eine aktualisierte Energieperspektive ein Gesamtbild aufzeigen wird, das meine Forderung nach einer Gesamtschau abdecken wird.
Was Sie aber ärgert, sind die Staatsunternehmen. Sie haben schon verschiedene Vorstösse dazu gemacht. Was ist dort das Problem?
Es ist nicht Aufgabe des Staates, Leistungen anzubieten, die auch Private erbringen können. Heute bietet beispielsweise die Post Buchhaltungssoftware an, die bereits mit Daten von PostFinance verknüpft ist. Unter dem Deckmantel des Service-Public-Auftrages verschafft sich die Post damit einen Marktvorteil, der von Privaten nicht wettgemacht werden kann. Ähnliches sieht man bei grossen Energiekonzernen, die nebenbei auch Dienstleistungen im Baugewerbe anbieten. Quersubventionierungen und Informationsvorsprünge verschwinden in der Gesamtrechnung und werden von den Konzernen schöngeredet.
Wie kriegen wir diese Staatsunternehmen in den Griff?
Zurückstutzen auf ihre Kernaufgabe. Ohne Wenn und Aber.
Die meisten Elektrizitätswerke sind aber in der Hand der Kantone und Gemeinden. Darauf hat die Bundespolitik keinen Einfluss. Wo liegt dort der Hebel?
Es ist erstaunlich, ja geradezu skandalös, wie wenig Einfluss die Kantonsregierungen auf die ihnen gehörenden Energieunternehmungen nehmen. Man versteckt sich hinter der Verselbständigung dieser Firmen und stiehlt sich aus der Verantwortung. Offenbar sind die Dividendenzahlungen wichtiger als ein fairer Wettbewerb.
Sie wollen Staatsunternehmen ja nicht abschaffen. Was wollen Sie stattdessen?
Wir sollten uns mehr Gedanken darüber machen, was wir alles in der Grundversorgung wollen und wer das finanzieren soll. Es gibt klar Bereiche, die der freie Markt unter Berücksichtigung der Regionen und der Grundversorgung nicht abdecken will oder nicht zur Zufriedenheit aller abdecken kann. Zum Beispiel in der Stromversorgung: Netz und Energie sind klar zu trennen. Die Netze wurden von den Steuerzahlern finanziert und sollen auch in deren Besitz bleiben. Die Energielieferung hingegen muss vollständig liberalisiert werden, und jeder Konsument kann frei entscheiden, ob er in der Grundversorgung bleiben will oder seinen Strom auf dem freien Markt beschafft. Natürlich mit dem Wissen, dass ihm der Staat bei Preisschwankungen nicht zu Hilfe eilt. Es braucht endlich den Mut, alte Denkmuster in Frage zu stellen.
Wenn Sie gewählt werden, was wollen Sie alles noch in Bern machen?
Es wäre natürlich toll, wenn ich mich weitere vier Jahre in Bern einbringen dürfte. Mittelfristig geht es um die Umsetzung des Energiegesetzes, des Stromversorgungsgesetz und die Überprüfung der Energiestrategie. Das Parlament tut gut daran, die Entwicklung in der Versorgungssicherheit aufmerksam zu verfolgen und wo nötig, Korrekturen vorzunehmen. Dabei muss aufgezeigt werden, dass Schutz und Nutzen kein Widerspruch sind. Auch das Projekt «Kreislaufwirtschaft stärken» ist noch nicht abgeschlossen und bedarf einer engen Begleitung durch die Kommission. Nicht zu vergessen ist die Revision des CO2-Gesetzes, das aus meiner Sicht nicht weiter aufgebläht werden darf. Und zuletzt ist da noch die Berufsbildung, die immer mehr in Richtung Verakademisierung tendiert. Hier muss dringend Gegensteuer gegeben werden. So oder so stehen grosse Themen an, die nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis funktionieren müssen. Gerne würde ich da meine praktischen Inputs einbringen.
Interview: Henrique Schneider